Hallo zusammen!
Worldbuilding war hier ja schon häufiger Thema. Doch wie, fragen sich Michael und Thomas, bekommt man so eine Welt eigentlich den Spielern präsentiert, nachdem man sie einmal geschaffen hat? Also vor allem dann, wenn man nicht stoisch alle relevanten Informationen objektiv herunterbeten oder die Spieler zum Lesen langer Intro-Dokumente zwingen will?
Ein paar sehr knappe Themen vor dem Thema sowie die gewohnte Medienschau gibt es ebenfalls, und selbstredend finden sich Timecodes, weiterführende Infos und Links unten in den Shownotes.
Viele Grüße,
eure DORP
Episode 211: Die Präsentation einer Welt
00:00:29 Intro
00:01:48 Feedback-Schleife
00:03:46 Hilde und die Glocken der Amazonen – der Audiokommentar
00:05:30 Kochen für die Meute
00:06:21 Die Dracon ist schon nah!
00:07:27 Medienschau: Sing 1 und 2
00:11:42 Medienschau: The Anthropocene Reviewed
00:18:06 Medienschau: Uncharted (der Film)
00:23:40 Medienschau: Matrix Resurrections
00:29:38 Zum Thema!
00:30:47 Musterstück: Mad Max Fury Road
00:31:24 Wie geht „Show, don’t tell“ in einem rein erzählten Medium?
00:31:58 Vorher ein Buch lesen zu müssen, um die Welt kennen zu lernen, ist unsexy
00:32:47 Im Spiel Informationen erfahren
00:34:01 Weltkarten sind sehr deterministisch
00:34:51 Videospiele, die Thomas zu dem Thema inspiriert haben
00:36:28 Vermittelte Stimmung als erzählerisches Werkzeug
00:37:38 Earthdawn!
00:38:42 Die Sache mit dem gemeinsamen Vorstellungsraum
00:40:35 Welten-Beschreibung über Items
00:41:31 Namedropping als Potenzial für die Zukunft
00:42:02 Charakterbeziehungen als Steilvorlage
00:42:31 Spielerfreiheit vs. etablierte, definierte Settings
00:43:27 Hard und Soft Worldbuilding
00:44:38 Beides sollte am Spieltisch bei der Weltenpräsentation anwendbar sein
00:47:05 Um noch mal auf ALIEN zurückzukommen
00:48:34 Wie bekommt man, bei einer stark durch die SL definierten Welt, die Informationen an die Spieler?
00:49:38 Handouts und „Audio-Logs“
00:55:20 Worldbuilding über Encounter und Dungeons
00:57:25 Ein Fazit?
00:58:48 Sermon 3.6
00:59:39 Adieu
01:00:18 Der Nach-Teil
Aus der Medienschau
- Green, John: The Anthropocene Reviewed
- Matrix Resurrections
- Sing
- Sing – Die Show deines Lebens (Sing 2)
- Uncharted
Medienschau-Bonus
- Der in der Medienschau erwähnte Uncharted-Fanfilm mit Nathan Fillion findet sich hier
Sonstiges
- Hier gibt es alle Informationen zu Kochen für die Meute
- Hier findet ihr den Audio-Kommentar zu Hilde und die Glocken der Amazonen
- Den in der Folge erwähnten Tales-from-the-Loop-Audiohandout hatte ich damals hier dokumentiert
//Mäzenatenschau-Musik: Corbyn Kites – Staycation
//Der DORPCast gibt die Privatmeinung von Michael und Thomas wieder.
//Hinweis: Alle Amazon-Links auf dieser Seite sind Teil des Affiliate-Programms und ein Anteil des Verkaufspreises kommt der DORP zugute.
Irgendwie bin ich mit der zentralen Prämisse dieser Folge, direkte Exposition wäre nicht zielführend, so nicht einverstanden. Ich machte sehr gute Erfahrungen mit direkter Exposition, wenn sie richtig gemacht war und an indirekte Exposition gekoppelt war. Wenn man es geschickt anstellt, kann man Spielern sehr wohl die Welt einfach direkt erklären.
Daher hier Lichtbringers großer Doppelpass der Weltpräsentation:
Schritt 1: Das Zauberwort ist nicht „bitte“, sondern „weil“. Wenn man direkt etwas über die Spielwelt vermitteln will, dann sollte man es erklären. Wenn die vermittelten Fakten Sinn ergeben, dann kann man sie sich besser merken und man wird als Spieler ermächtigt, in der Welt entscheiden zu können. (Ich verwende hier den euch schon bekannten Vergleich mit Alice im Wunderland, die rein reaktiv handeln kann, weil sie ihre Welt nicht versteht.)
Ein Beispiel aus meiner letzten Fantasyrunde: Die Zwerge dieser Welt haben eine strikte Trennung nach Geschlecht, in der alle weltliche Macht ausschließlich Männern vorbehalten ist und alle geistliche Macht Frauen, *weil* Warke, die Prophetin der zwergischen Religion, eine Frau war.
Schritt 2: Die präsentierten Elemente sollten nicht egal sein (warum sollte man sie dann auch vermitteln?), sondern für die SCs relevant sein und immer wieder auftauchen.
In unserem Beispiel war einer der SCs ein männlicher Zwerg, der der Kirche diente. Dass er trotz seiner Leistungen niemals in den Klerus aufsteigen könnte, war immer wieder Thema in der Runde. Dadurch war der Spieler sehr motiviert, sich nicht nur die Exposition zu merken, sondern sogar mehrere Seiten zur zwergischen Religion zu lesen.
Zusätzlich zu diesem großen Doppelpass, gibt es noch den kleinen Doppelpass, mit dem man die Weltpräsentation griffiger macht.
Schritt 3: Eine fiktive Kultur wird überzeugender, wenn sie kleine Seltsamkeiten hat. (Versucht mal, Ausländern zu erklären, was genau „Dinner for One“ den Deutschen bedeutet.)
Im Beispiel oben gehört es in meiner Fantasywelt zu einer Besonderheit der zwergischen Sprache, dass man jedes beliebige Wort in Komperativ und Superlativ setzen kann. Das funktioniert ein wenig wie die relative Nähe zur platonischen Idee. Im Falle eines physischen Objekts fungiert das als Augmentativ. Nehmen wir z. B. das Wort „Baum“. Ein „Baumer“ ist ein besonders großer, knorriger Baum. Und ein „am Baumsten“ wäre der größte, knorrigste Baum des ganzen Waldes. Im Falle abstrakter Konzepte ist man mit der Steigerung immer näher an der abstrakten Idee. „Nein“ ist die reine Ablehnung, „neiner“ bedeutet „auf gar keinen Fall“ und „am neinsten“ bedeutet „es ist noch nicht einmal logisch vorstellbar, dass die Antwort jemals ja lauten könnte“.
Besagter Spieler liebte das, einerseits fand er es einfach ulkig, andererseits kannte er sich genug mit platonischer Philosophie aus, dass ihm das direkt eine Vorstellung der zwergischen Metaphysik vermittelte.
In Wechselwirkung mit Schritt 1 und 2 wurde es dann auch im Spiel relevant, als eine Frau und Sektenführerin, die den Einfluss von Männern in der Kirche bekämpfen wollte, sich selbst als „Gragzur“ bezeichnete: „Grag“ = „Wort“, „-zur“ = Superlativ, also „das Wort, welches im höchsten denkbaren Maße Wort ist“.
Schritt 4: Sprechende Namen. Wir vergessen heute gerne, dass früher einmal praktisch alle Namen sprechend waren. Und mit sprechenden Namen kann man sehr viel über die Spielwelt implizieren.
Um wieder dieselbe Runde als Beispiel zu verwenden: Die SCs waren auf der Suche nach zwei Objekten, die sowohl von der zwergischen als auch der elfischen Religion als göttliche Artefakte angesehen wurden. Dass sie „die wahre Stimme der ewig dunklen Nacht“ und „die wahre Stimme des ewig hellen Tages“ hießen, vermittelte einiges über die Theologie dieser beiden Glaubenssysteme.
Das Prinzip der sprechenden Namen kann man übrigens auch umkehren, indem man abgefahrene Artefaktnamen erschafft und sich dann überlegt, was die können und wo die herkommen mögen. Schaust du hier: https://faterpg.de/2017/05/eine-millionen-magischer-gegenstaende/
Wenn Spieler bei der Welterschaffung mitmachen, so kann man trotzdem eine „harte“ Welt erhalten. Das klappt aber selten. Meiner Erfahrung nach geht es am besten, wenn man Naturwissenschaftler mit Dramaturgieverständnis in der Runde hat. Ersteres sorgt dafür, dass die Welt funktioniert, letzteres dafür, dass es in ihr auch etwas zu tun gibt. (Ich saß einmal in einer Welterschaffungsrunde, in der eine Mitspielerin ihren Einfluss stets dafür verwendete festzulegen, dass jede neu eingeführte Fraktion (Volk, Staat, Gemeinschaft usw.) friedlich mit allen anderen zusammenlebt. Wir musste ihr irgendwann erklären, in einer Welt ohne Konflikt würde das Spiel bald sehr langweilig.)
Ein Franchise, welches das mit der Präsentation übrigens sehr geschickt macht, ist Minecraft. Da ist die Vermittlung für das Spielerlebnis eigentlich egal. Man kann das Spiel spielen, ohne irgendwelches Hintergrundwissen einzusammeln. Aber die Andeutungen in den verlassenen Gebäuden, die man findet, und den Tonaufzeichnungen aus grauer Vorzeit, sind einfach so packend und spannend.
Nachtrag: Eure Folge letztens hat mich motiviert, mal etwas über Thomas Hobbes zu schreiben: http://unprominente.de/2022/09/13/thomas-hobbes-warum-lassen-wir-uns-regieren/
Danke für den Hobbes-Artikel, freut mich, dass wir da etwas triggern konnten. Und die Spieltheorie hast du auch direkt mit reingeworfen. 🙂 Das Minecraft “lore” hat, war mir gar nicht bewusst …
Ich bin ja eigentlich ein Freund sprechender Namen und werde oftmals dafür gescholten, dass ich mich auch dafür einsetze, entsprechende Fantasynamen einzudeutschen, damit es keinen Deutungsverlust gegenüber dem Original gibt. Ein Angelsachse kann den Magier Darkseer sofort lesen, ein Nicht-Anglizist hat erst einmal eine Sprachbarriere, um die Deutung zum Dunklen Seher zu erfassen und will sich vom fremden, edgy Namen beeindrucken lassen.
Die von dir genannten Elemente des Weltenbaus in der Sprache setzen aber auch eine ziemlich starke Agenda der Spielenden voraus, sich mit dem Material und der Welt beschäftigen zu wollen. In vielen meiner Runden wäre diese Bereitschaft gar nicht da gewesen, tiefer in die Konzepte abtauchen zu wollen. Bei den kleinen Seltsamkeiten stimme ich zu und finde gerade das Warhammer-Rollenspiel mit seinen unzähligen Schrulligkeiten dahingehend sehr gut.
Ich würde mal das Thema Hard und Soft Worldbuilding kurz aufgreifen wollen.
Mein Hintergrund ist das ich nie mit DSA sozialisiert wurde und ich von der “harten” Teil des sehr ausdefinierten Weltenbau abgeschreckt bin. Aber lustigerweise geht es mir auch so bei sehr freien Welten, bspw. Dungeon World, wo alles zusammen improvisiert wird auch nicht besser.
Nun war mein grundsätzlicher Gedanke beim Hören, das es im Spektrum zwischen diesen beiden Polen sich Rollenspiele bewegen, bspw. ein Coriolis – Der dritte Horizont betreibt sehr viel Namedropping und definiert einen Rahmen und lässt genügend Lücken im Baugerüst der Eckpfeiler, wirkt von außen riesig und tief, ist aber beim genauen Hinschauen hohl und frei zur Gestaltung.
Also eigentlich möche man als Rollenspiel doch dann Halfsoft oder Halfhard sein oder?
Interessanterweise ist DSA doch aber gerade das Musterbeispiel für gelungenes “Soft Worldbuilding”. In seiner Anfangszeit war Aventurien als Kontinent noch praktisch überhaupt nicht beschrieben und es kamen mit jedem neuen Abenteuer teilweise ziemlich wilde Setzungen der jeweiligen Autoren hinzu. Nichtsdestotrotz wirkt es aus der heutigen Sicht wie eine ziemlich “hart gebuildete” Spielwelt, was ich auf zwei wesentliche Gründe zurückführen würde:
1) Der große Umfang des über die Jahre publizierten Materials hat zu einer enorm hohen Beschreibungsdichte geführt, die dadurch, dass auch immer wieder frühere Fäden erneut aufgegriffen und weitergesponnen wurden, ein extrem stark miteinander verwobenes Geflecht ergeben hat. Zudem wurden offensichtliche Leerstellen (um im Sprachbild zu bleiben “Löcher im Weltenbaugewebe”) natürlich erkannt und häufig ganz gezielt durch neue Werke geschlossen.
2) Schon recht früh haben sich die DSA-Redakteure große Mühe mit der Kuration des Materials gegeben. Da wurden dann gezielt Dinge hinzugedichtet, um ursprünglich gar nicht geplante Zusammenhänge herzustellen und den Eindruck von Konsistenz und Kausalität zu befördern, während andere Dinge bewusst aus dem Kanon ausgeklammert oder geretcont/umgedeutet wurden, in manchen Fällen sogar beides gleichzeitig (Borbis Raumschiff in der Gor als Musterbeispiel, wo das Abenteuer “Borbarads Fluch” heute augenzwinkernd als Fiebertraum eines geistig Verwirrten bezeichnet wird).
Ich bin aber voll und ganz bei dir: Eine nähere Betrachtung von “Soft vs. Hard Worldbuilding” wäre in der Tat spannend. Zumal man hier selten die beiden Extreme in Reinform finden wird, gerade wenn man eigentlich anhand von positiven Beispielen darstellen möchte, das beides seine Berechtigung haben kann. Was Tolkien auf der harten Seite gemacht hat ist schon eine absolute Ausnahmeerscheinung, auf der soften Seite könnte man vielleicht Terry Pratchetts Scheibenwelt dagegenstellen. Und während harter Weltenbau unglaublich viel Aufwand in Planung und Konzeption steckt, deren größte Teile in der Regel von den Rezipienten unbemerkt bleiben, so dass der Ansatz von bösen Zungen mit einigem Recht als ziemliche Zeit- und Energieverschwendung bezeichnet werden könnte, läuft softer Weltenbau allzu schnell Gefahr, ziemlich beliebig zu werden und in vollkommen inkonsistentem Chaos zu enden, wo man sich am Ende fragen kann, inwiefern dem erzählten Plot dann überhaupt noch eine funktionierende Welt zugrunde liegt.
Alles in allem ein spannendes Thema, aber vermutlich eines für einen anderen Tag. 🙂
Ja, spannende Sache. Wir haben es uns mal als Thema notiert, dann auch über Soft- und Hard-Weltenbau intensiver zu sprechen. Auch gerade im Kontext, ob das eine oder andere sich für eigene Runden oder Publikationen eher eignet. Denn wenn man eine Spielwiese für andere bereitstellt, muss man ja andere Dinge beachten, als wenn man gerade mit seiner Runde das erstellt, was benötigt wird, bzw. was Spaß macht.
Der Weltenbau Aventuriens ist übrigens nicht nur so ein gewachsenes Teil wie du es schilderst, sondern existiert bei vielen Fans als Magnum Opus von Genies, in das nicht eingegriffen werden dürfte. Werner Fuchs wird dann immer etwas direkter, wenn er das mitbekommt, wie es damals wirklich war, aber als Ulisses-Nasen mussten wir schon des Öfteren hören, dass X oder Y ja nicht ginge, weil … und … ich bin dann unsicher, ob ich Lachen soll oder Verständnis dafür aufbringen müsste, wie wichtig das meinem Gegenüber offensichtlich ist. Aber spätestens mit den Regionalbänden von DSA4 hat das Setting ja ziemlich den weichen Ansatz verloren gehabt und es ging um die Pflege des Etablierten statt dem Hinzufügen von Neuem.
Naja, dass extremistische Fanboys ihre mythisch überhöhte Fehlinterpretation des verehrten Gegenstandes höher gewichten als die Realität, ist ja nun nix neues. Religionen müssen schließlich auch irgendwo ihren Ursprung haben…
Ich weigere mich nur, eben jenen Extremisten irgendeine Deutungshoheit zuzubilligen und gebe persönlich mehr auf die Meinung von Leuten, die entweder mit entspannter faktenorientierter Nüchternheit oder auch mit noch relativ frischer Begeisterung auf den dem Fantum zugrundeliegenden Betrachtungsgegenstand schauen. Das ist in der Regel deutlich zielführender für das Verständnis der Materie.
Die Ansicht, dass bei DSA inzwischen nur noch Bestandspflege betrieben und nichts neues mehr hinzugefügt wird, teile ich natürlich nicht. Auch heute noch wird die Spielwelt um immer neue Facetten ergänzt und wenn ein Abenteuerautor eine eigene Idee umsetzen möchte, werden durchaus auch neue Fakten geschaffen, die ihm diese Idee erst ermöglichen. Das widerspricht aber natürlich in keinster Weise der Tatsache, dass Aventurien längst die vielen kleinen Schritte von einer ursprünglich “weich” erschaffenen Welt hin zu einem ziemlich “harten” Ist-Zustand gemacht hat.
Angesichts der Beschreibungsdichte mit Drölfzigtausend Seiten für einen alles in allem doch überschaubar großen Kontinent ist das in meinen Augen auch ein absolut unvermeidbarer Weg und ich würde hier einfach mal die These aufstellen, dass dies das Schicksal jeder hinreichend lange in Gebrauch befindlichen fiktiven Welt darstellt. Je mehr Geschichten man in einer Welt erzählt, desto “härter” wird der Weltenbau. Im Umkehrschluss könnte man auch behaupten, dass jede neu erschaffene Welt ihren Ursprung in einem extrem soften und unbegrenzt formbaren Zustand nimmt.
Widersetzt sich eine fiktive Welt hingegen dieser Regel, geht das nur, indem jüngere Werke die in derselben Welt angesiedelten Vorgängerwerke einfach ignorieren. Somit muss eine ausschließlich auf “soften” Mechanismen fußende Weltenschöpfung sich mit wachsendem Publikationsumfang unweigerlich in immer zahlreicher werdenden Widersprüchlichkeiten und Inkonsistenzen verstricken, bis sie ihre Glaubwürdigkeit irgendwann komplett eingebüßt hat und zumindest in meinen Augen das Terrain des Weltenbaus komplett verlassen hat.
Dass uns dennoch die Welt von Harry Potter als reichlich “soft” erschaffen vorkommt, während Tolkiens Mittelerde mit einer geradezu diamantenen Härte verbunden scheint, liegt vielleicht auch einfach an dem Zeitpunkt und den Umständen der Publikation. J. K. Rowling hat direkt Romane geschrieben und diese relativ unmittelbar nach dem Schöpfungsakt auf die Menschheit losgelassen, während Tolkiens frühe Geschichten in seinem stillen Kämmerlein ihren Ursprung nahmen, immer weiter ergänzt und überarbeitet wurden, nur um dann erst lange nachdem auf ihrer Grundlage Romane geschrieben wurden überhaupt einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu werden.
Um den Kreis wieder zu DSA bzw. Aventurien zu schließen, sehe ich hier deshalb das Musterbeispiel für soften Weltenbau, weil eben jene Entwicklung von soften Anfängen hin zu einer hartwurstig-konsistenten Spielwelt hier so schön nachvollzogen werden kann. Aventurien funktioniert heute für die meisten in dieser Welt Spielenden gerade deshalb so gut, weil es in hohem Maße auf eine konsistente Fortschreibung früherer Setzungen aufbaut und stets um die Auflösung von Widersprüchen bemüht ist. In seinen Anfangstagen war die gesamte Spielwelt hingegen eine große weiße Leinwand, auf der Uli Kiesow, Werner Fuchs, Hans-Joachim Alpers und so weiter wild drauflos zu malen begonnen haben. Sobald sich aber – um in der Metapher zu bleiben – die “Schmierereien” der einzelnen Maler zu berühren begannen, musste sich der kreative Prozess wandeln, damit am Ende nicht die gesamte Leinwand von einem undefinierbaren Einheitsbraun bedeckt war.
Und – letzte (wahrscheinlich gar nicht mal so) steile These – die Erschließung neuer Kontinente neben Aventurien (angefangen bei Tharûn über Myranor und das Riesland bis hin zu Uthuria) war immer in erster Linie der Versuch, aus dem notwendigerweise “erhärteten” Weltenbau des über Jahre, bzw. später Jahrzehnte hinweg beschriebenen Kontinents auszubrechen und wieder ganz “soft” auf einer weißen Leinwand herummalen zu können. Inwiefern solche Versuche aber angesichts des Anspruchs, dennoch auf demselben Planeten wie das ungemein dicht beschriebene Aventurien angesiedelt und mit diesem kompatibel zu sein, von vorne herein zum Scheitern verurteilt gewesen sein müssen, wäre ein Thema für einen vollkommen neuen Exkurs an anderer Stelle.
Bei Hard vs Soft-Worldbuilding.
Da ihr ja Literaturwissenschaftler seid, wäre da doch auch GRR. Martins Konzept von Gärtner vs. Archithekt ein Konzept, das man beleuchten und erörtern könnte?
Moin!
Hier noch was zum Thema: Meiner Meinung nach habt ihr bei allem Guten und Richtigen, was ihr erzählt habt, doch etwas ganz Wesentliches übersehen. Das Motto “Show, don’t tell” wird auch in Autorenschulen regelmäßig als Mantra des filmischen Erzählens wiederholt. Das “Zeigen” darf dabei im metaphorischen Sinne verstanden werden; gemeint ist handeln, spielen, sprechen, durch Gegenstände, Sprachniveau, Kleidung usw. vermitteln. Insofern ist euer Beispiel von den abgerissenen Goblins ein exzellentes Beispiel für “Show, don’t tell”, weil der SL nicht sagt: “Das hier sind die Goblins, sie sind Außenseiter, arm und verstehen nichts von Handwerk”, sondern dies dem Spieler unmittelbar einleuchtet.
Hier noch ein anderes Beispiel: Die Spieler kommen in eine Stadt, die verfeindet mit einer anderen ist. Als sie einen Fischhändler auf dem Markt bezahlen, benutzen sie aus Versehen die Währung der anderen Handelsstadt, worauf der Händler sie lautstark beschimpft und sich weigert, ihnen etwas zu verkaufen – ebenso wie alle anderen auf dem Markt. Jetzt wissen die Spieler Bescheid.
Ein weiteres Beispiel: Die SC treffen das erste Mal auf einen Feldherren, der ein Gebiet erobert hat. Bevor er Zeit für sie hat, beschimpft er erst einen Bauern, dass der ihm gestrecktes Getreide gebracht hat, und lässt ihn auspeitschen.
Eine Sonderform dessen ist das ebenfalls aus Games bekannte “Environmental Storytelling” (Weltvermittlung durch die Umgebung?). In einer Zombieapokalypse finden die SC einen aufgebrochenen Raum mit verbarrikadierten Fenstern, einem Stuhl, einigen Kästen Bier und einem Gewehr darin. Ebenfalls dort: Das Skelett eines Mannes. Alles klar?
Grüße!